Mudam Luxembourg Presstext
Schon seit über dreißig Jahren erfährt Zoe Leonard (1961, Liberty, New York) viel positive Kritik für ihr Werk. Ihre ursprünglich in der Fotografie wurzelnde Arbeit hat sich um räumliche Installationen und Skulpturen erweitert. Ihre Kunst ist vor allem das Ergebnis einer scharfen Beobachtungsgabe, in der sich das Dokumentarische der Fotografie mit dem körperlichen Akt des Schauens verbindet. Dabei liegen die inhaltlichen Schwerpunkte ihrer Arbeit auf Themen wie Migration und Vertreibung, Gender und Sexualität, Verlust und Trauer, Kulturgeschichte und das Spannungsfeld zwischen der Natur und den vom Menschen gestalteten Lebensräumen.
Erstmals in dieser Ausstellung zu sehen ist Al río / To the River, eine im Jahr 2016 begonnene großformatige fotografische Arbeit, die den Rio Grande (wie er in den USA genannt wird), bzw. den Río Bravo (sein Name in Mexiko) zum Thema hat. Leonard fotografierte ihn entlang der 2000 Kilometer, die die Grenze zwischen den Vereinigten Mexikanischen Staaten und den Vereinigten Staaten von Amerika bilden. Dabei folgt sie ihm von der mexikanischen Grenzstadt Ciudad Juárez und ihrer texanischen Nachbarstadt El Paso bis zu seiner Mündung in den Golf von Mexiko, wo er in den Atlantischen Ozean fließt.
26.02 -
Von geradezu epischen Ausmaßen, entstand Al río / To the River durch eine genaue Beobachtung sowohl des natürlichen, von ihm selbst geformten, als auch des ihn umgebenden, menschengemachten Umfelds des Flusses, von Wüsten und Bergen zu großen und kleinen Städten und Dörfern, in denen sich das tägliche Leben im Rhythmus der Landwirtschaft, des Handels, der Industrie oder der polizeilichen Überwachung abspielt. Leonards Fotografien zielen auf größere Infrastrukturprojekte und andere Bauten, die entlang oder in den Fluss hinein gebaut wurden, und die nicht nur den Verlauf des Wassers kontrollieren, sondern auch die Warenströme oder das Hin und Her der Menschen, also Dämme, Brücken, Pipelines, Zäune und Checkpoints. „Der einer ständigen Veränderung unterworfene natürliche Verlauf eines Flusses, der regelmäßig aufgrund des Hochwassers seinen Verlauf verändert und sein Bett verlagert,“ so Leonard, „bildet einen großen Gegensatz zu den Aufgaben politischer Art, die von ihm verlangt werden.“
Al río / To the River gliedert sich in drei Teile, einschließlich eines Vorspiels (Prologue) und einer Koda (Coda). Jeder Teil setzt sich mit der Sprache der Fotografie auseinander und bewegt sich fließend von der Abstraktion über die Dokumentation bis hin zu digitalin Überwachungsbildern.
Leonard, die mit einer analogen Kamera ohne Stativ arbeitet, hat in ihrer Wahrnehmung des Flusses ein ganz körperliches Verhältnis zu ihm. Und obwohl ihr Blick auf den Fluss stets subjektiv ist, ist er doch auch wandelbar. Indem sie immer wieder die Seiten wechselt (und damit von einem Land ins andere geht), weigert sich Leonard, eine einseitige Sicht zu entwickeln und nimmt stattdessen eine Reihe von wechselnden Blickwinkeln ein.
Das Werk nimmt Gestalt in Form von Passagen an, von fotografischen Sequenzen, in denen sich ein Gefühl von Bewegung vermittelt und die Handlungen betonen, während sie sich allmählich entfalten. Anstatt einen „entscheidenden Augenblick“ oder eine bestimmte Bedeutung zeigen zu wollen, erlauben diese Arrangements dem Betrachter, Bedeutung durch sein eigenes genaues Hinsehen zu schaffen.
Die Materialität des fotografischen Prozesses steht in Leonards Abzügen im Vordergrund. Jede Fotografie wird als konstruiertes Bild präsentiert, das von einem bestimmten Standpunkt aus aufgenommen wurde und in einem Prozess von Auswahl und Druck entstand.
In Al río / To the River wehrt sich Leonard gegen eine allzu reduzierte Darstellungen der Grenze in den Massenmedien und lenkt den Blick stattdessen auf die Vielzahl von Mächten und Einflüssen, von kommerziellen und industriellen Interessen, kulturellen Geschichten und familiären Verbindungen, die sich über den Fluss erstrecken, bis hin zu den Tieren und Pflanzen der Region, die zunehmend unter Druck geraten aufgrund von Dürre und Klimawandel sowie durch die oft widersprüchliche Sicht der Menschen auf den Fluss selbst, der zwar das Label einer „wilden und landschaftlich reizvollen“ Wasserstraße trägt, doch aber hauptsächlich der Wasserversorgung dient und als politische Grenzlinie verstanden wird.
Photograph from Al río / To the River, 2016–2022. Approximately 500 gelatin silver prints, 40 C-
© ArtCatalyse International / Marika Prévosto 2022. Alle Rechte vorbehalten
Ausstellung 26.Februar -